Visionär

Beethoven war ein musikalischer Visionär, mit seinen Kompositionen hat er die Gattungsgrenzen seiner Zeit gesprengt und neue Maßstäbe gesetzt.

Das Jubiläumsprogramm thematisiert und wagt Visionen und Entwürfe für die Zukunft. Welche kreativen Möglichkeiten bieten neue Technologien? Wie erleben wir klassische Musik im 21. Jahrhundert? Welche Inszenierungen und Formate sprechen uns und unsere Kinder an? 250 Jahre Beethoven – Zeit für Experimente!

Wie bereits unter „Beethoven als Tonkünstler“ ausgeführt, übte Beethoven musikalisch auf die nachfolgenden Generationen enormen Einfluss aus. Kaum ein bedeutender Komponist konnte sich der Auseinandersetzung mit seiner Musik entziehen – schon aus diesem Grund muss Beethoven als Visionär gelten.

Besonders bedeutsam für das heutige Beethovenbild aber ist die aus radikalem Originalitätsstreben erwachsende Innovationskraft Beethovens.

Tatsächlich ging Beethovens Werk immer wieder weit über das zuvor Dagewesene hinaus; immer wieder sprengte er Gattungsgrenzen, was es möglichen Nachfolgern schwer machte. Mit der Schlachtensymphonie Wellingtons Sieg erprobte Beethoven bis dato ungeahnte Möglichkeiten der Raumkomposition. Seine Diabelli-Variationen überstiegen nicht nur die bekannten Dimensionen von Variationenwerken, sondern sie artikulieren mit der Integration von Fuge und Opernzitat einen gleichsam allumfassenden musikalischen Anspruch. Sowohl die späten Klaviersonaten als insbesondere auch die späten Streichquartette lösen die jeweiligen Gattungen quasi von innen heraus auf. Viele Zeitgenossen standen diesen Werken ratlos gegenüber – heute üben sie eine ganz eigene Faszination auf uns aus.

Aber Beethoven begründete auch neue Traditionen. Besonders nachhaltig zeigt sich dies an der Neunten Symphonie, die als Chorsymphonie eine ganz neue Gattung ins Leben rief, die sich bis ins frühe 20. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Die Integration des Chors in ein Instrumentalwerk war im Wortsinn unerhört – Beethoven selbst wies mit dem Bass-Solo „O Freunde, nicht diese Töne …“ in der Musik auf die Neuartigkeit hin. Auch mit dem Liederkreis An die ferne Geliebte stieß Beethoven auf unbekanntes Terrain vor – handelt es sich doch um den ersten Liederzyklus der Musikgeschichte. Die fragmentarische Klangsprache der Bagatellen ermöglichte ungeahnte Kompositions- und Hörweisen, die Komponisten vor allem seit dem frühen 20. Jahrhundert schätzten und wieder aufgriffen. An diesen – und vielen anderen – Werken zeigt sich Beethovens enorme künstlerische Innovationskraft.

Sowohl zum Themenkomplex „Beethoven als Humanist“ als auch zu Beethovens visionärer Grundhaltung gehört der Gehalt zahlreicher Werke, die mit der aufklärerischen Formel „Durch Nacht zum Licht“ beschrieben werden. Prominentestes Beispiel ist die Fünfte Symphonie, in der sich eine düstere Individualsituation (c-Moll) zu einem appellhaft strahlenden Menschheitsjubel (C-Dur) entwickelt.

Der visionäre Geist hat nachfolgende Künstlergenerationen fasziniert und ihrerseits zu Innovationen und experimenteller Aneignung angeregt. Choreographische und szenische Aufführungen etwa ermöglichen besondere ästhetische Erfahrungen mit Beethovens Werken – und das nicht erst als aktuelle Horizonterweiterung. Bereits 1829 brachte Nicolas Charles Bochsa die „Pastorale“ als Ballettpantomime auf die Bühne des Londoner King’s Theatres. Besonders berühmt wurde die Choreographie der Neunten Symphonie des französischen Tänzers und Choreographen Maurice Béjart; auch die getanzte Siebte Symphonie von Uwe Scholz überträgt in faszinierender Weise die Musik auf die Bühne. Spektakulär ließ 2015 das Ars Electronica Futurelab einhundert beleuchtete Drohnen am nächtlichen Himmel zu Klängen aus Beethovens Fünfter Symphonie Formationen fliegen. Im pädagogischen Bereich erschließt der getanzte Beethoven in jüngster Zeit neue Möglichkeiten.

Ungewohnte Aufführungsformen haben schon Beethovens Zeitgenossen erprobt, als sein Freund, der Geiger Ignaz Schuppanzigh begann, Streichquartette in Konzerten öffentlich darzubieten. Damals wie heute sind neue Präsentationsformen und Projekte geeignet, nicht nur Beethovens Werken, sondern auch der klassischen Musik allgemein neue Publikumsschichten zu erschließen. Sie regen uns zudem an, darüber nachzudenken, wie klassische Musik heute zeitgemäß vermittelt werden kann. Das Jubiläum wird entsprechend Freiraum für Innovation und Experimente bieten und möchte den Rückblick auf Beethoven wie ein Scharnier „umklappen“, um in Beethovenʼschem Geist Zukunft zu wagen.

Christine Siegert & Christian Lorenz

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Lesen Sie das ausführliche Essay von Christine Siegert, Beethoven-Haus Bonn, und Christian Lorenz zu den fünf Leitthemen.

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