Humanist

Beethoven war ein glühender Anhänger der Werte der französischen Revolution:
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Diese Haltung ist heute hochaktuell! Das Jubiläumsprogramm setzt sich mit Beethovens gesellschaftskritischen Positionen auseinander – ebenso wie mit seiner universellen Bedeutung und den verschiedenen politischen Vereinnahmungen. Das Thema Völkerverständigung, das Beethoven wichtig war, wird auch das Jubiläumsprogramm prägen.

Beethoven verfolgte intensiv die politischen Umwälzungen seiner Zeit. Er sympathisierte offen mit den Idealen der französischen Revolution: Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit. Schon in seinen Bonner Jahren war Beethoven mit diesen Idealen in Berührung gekommen. In einem Brief an seinen Jugendfreund Heinrich von Struve sehnte er sich 1795 nach dem Zeitpunkt, „wo es nur Menschen geben“ und die Menschheit ihrer Würde gemäß behandelt wird.

Ebenfalls bereits in seinen frühen Werken verfolgte Beethoven humanistisch-aufklärerische Ideen, beispielsweise in dem Lied Der freie Mann , das 1792 entstand. Schon zwei Jahre zuvor hatte er mit der Trauerkantate auf den Tod des Reformkaisers Josephs II. (einem Auftrag der Bonner „Lese- und Erholungsgesellschaft“) dessen aufklärerische Projekte und Ideale gepriesen.

Das vielleicht wichtigste Werk in diesem Zusammenhang ist Beethovens Neunte Symphonie mit der Ode an die Freude im vierten Satz. Schillers Text ist ursprünglich ein Gesellschafts- bzw. Trinklied, das zu seiner Zeit zahlreiche Vertonungen erfuhr. Bereits in Bonn soll Beethoven erwogen haben, den Text in Musik zu setzen. Wie Beethoven ihn deutete, ist offen – er enthält christliche und antike Allusionen ebenso wie allgemein humanitär zu verstehende Anspielungen. Als besonders wirkmächtig hat sich das Verständnis der Symphonie als Ausdruck höchster Humanität erwiesen, das dem Satz „Alle Menschen werden Brüder“ programmatisches Gewicht verleiht – eine solche Interpretation hat die Verwendung der Ode als Europahymne möglich gemacht. Leonard Bernstein machte sie zu einer Hymne an die Freiheit, als er zu Weihnachten 1989 Aufführungen in Ost- und Westberlin mit Musikerinnen und Musikern aus Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion sowie beiden deutschen Staaten dirigierte und dabei das Wort „Freude“ durch „Freiheit“ ersetzte.

Das Thema Völkerverständigung wird das Jubiläumsprogramm 2020 vielfach prägen.

Mit der Ballettmusik zu Die Geschöpfe des Prometheus komponierte Beethoven ein Werk, dessen Sujet – der Titan Prometheus bringt den Menschen das Feuer und emanzipiert sie dadurch von der Herrschaft der Götter – klare aufklärerische Intentionen verfolgt. „Die Grundlage dieses allegorischen Balletts ist die Fabel des Prometheus“, kündigte der Theaterzettel der Uraufführung an. „Die Philosophen Griechenlands … erklären die Bespielung der Fabel dahin; daß sie denselben als einen erhabenen Geist schildern, der die Menschen zu seiner Zeit in einem Zustande von Unwissenheit antraf, sie durch Wissenschaften und Kunst verfeinerte und ihnen Sitten beybrachte.“

In seiner Egmont-Musik intensivierte Beethoven den Freiheitsgedanken von Johann Wolfgang von Goethes Drama, das den Freiheitskampf der Niederländer gegen die spanische Herrschaft im 16. Jahrhundert auf die Bühne bringt. Goethe hatte bereits eine Siegessymphonie als Schluss für sein Schauspiel vorgesehen – und damit der Musik bemerkenswerterweise das „letzte Wort“ überlassen. Beethoven griff schon in der Ouvertüre den Ereignissen vor: Auch sie wird von der Siegessymphonie beschlossen, so dass der Sieg der Niederländer noch vor dem ersten gesprochenen Wort des Dramas musikalisch artikuliert wird.

Eingehend rezipierte Beethoven die französischen Revolutions- und Rettungsopern, die in Wien auf die Bühne kamen – allerdings in Übersetzungen, deren revolutionärer Gehalt gegenüber den Originalen deutlich reduziert war. In seiner einzigen Oper Leonore/Fidelio griff Beethoven selbst ein Rettungsstück auf: Den Text hatte Jean Nicolas Bouilly ursprünglich für den französischen Komponisten Pierre Gaveaux verfasst. Er beschreibt die Rettung eines aufgrund von politischer Willkür eingekerkerten Ehrenmanns durch den Mut seiner Gattin. Für das Finale, das die Befreiung sämtlicher Gefängnisinsassen auf die Bühne bringt, griff Beethoven auf die Musik der oben erwähnten Trauerkantate für Joseph II. zurück.

Besonders berühmt ist die Geschichte der Eroica-Symphonie, in der Beethoven musikalisch Die Geschöpfe des Prometheus wiederaufnahm. Beethoven soll das Titelblatt mit der Widmung an Napoleon Bonaparte wütend zerrissen haben, als er erfuhr, dass dieser sich zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte. Dass die Sachlage komplizierter ist, zeigt die von Beethoven überprüfte Abschrift (das Autograph ist nicht erhalten): zunächst rasierte Beethoven die Aufschrift „intitolata Bonaparte“ aus, dann fügte er aber mit Bleistift wieder hinzu: „geschrieben auf Bonaparte.“ Auch gegenüber seinem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel äußerte er später, „die Simphonie ist eigentlich betitelt Ponaparte.“ Gewidmet hat er sie allerdings Fürst Lobkowitz.

Auch wenn uns Beethoven heute als Demokrat gilt und wir im Gehalt zahlreicher Werke das Gedankengut der Französischen Revolution wiederfinden, darf nicht übersehen werden, dass er in den letzten Jahren der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich mehr und mehr die Revolutionsgegner unterstützte. Sein zu Lebzeiten wohl erfolgreichstes Werk war Wellingtons Sieg , das den entscheidenden Triumph des englischen Feldmarschalls Wellington gegen die Napoleonischen Truppen verherrlichte. Im Zusammenhang mit dem Wiener Kongress entstanden die Schauspielmusik zu Leopold Dunckers Drama Leonore Prohaska, das die gleichnamige Kämpferin der Befreiungskriege feierte, und die Schlussgesänge zu Georg Friedrich Treitschkes patriotischen Singspielen Die gute Nachricht (Germania) und Die Ehrenpforten (Es ist vollbracht). Beethovens Klaviervariationen über God save the King und Rule Britannia (beide bereits 1803) stehen in der Tradition von Haydns Kaiserquartett. Auch zahlreiche Widmungen seiner Werke an das Kaiserhaus und an Mitglieder der österreichisch-ungarischen Aristokratie zeigen die enge Verbindung Beethovens mit Vertretern des Ancien Régime.

Nicht nur Beethoven nahm mit seinen Werken aktiv politisch Stellung. Seine Musik wurde im Laufe der Geschichte immer wieder politisch in Dienst genommen. Im 19. Jahrhundert galt er dem erstarkenden deutschen Nationalismus als Gallionsfigur. Im Nationalsozialismus wurden Beethovens Werke zu Durchhaltezwecken missbraucht. Die Interpretation der Fünften Symphonie als „Schicksalssymphonie“ erleichterte den Missbrauch signifikant. Auch solche Aspekte sollen im Jubiläumsjahr zur Sprache kommen.

Christine Siegert & Christian Lorenz

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Lesen Sie das ausführliche Essay von Christine Siegert, Beethoven-Haus Bonn, und Christian Lorenz zu den fünf Leitthemen.

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